Am 26. Februar 1945 zerstörten Bomben

das Wickrather Zentrum – Zeitzeugen berichten

Von Heinz-Gerd Wöstemeyer

Der 26. Februar 1945 war ein verhängnisvoller Tag für Wickrath. Kurz nach Mittag heulten die Sirenen; wenig später erfolgte der Angriff eines Bombenverbandes. Zweimal schlugen Bombenteppiche im Zentrum des Ortes ein. Der Luftangriff forderte viele Menschenleben; die St. Antonius-Kirche und die Häuser in der Ortsmitte wur­den zerstört. Drei Zeitzeugen erzählen, wie sie die dramatischen Ereignisse erlebten.

Wickrath. Josef Kieven (78) war an jenem 26. Februar wie so oft mit einem kleinen Heuwagen unterwegs, um die Pferde des Bauern Schnitzler zu füttern, die auf dem Spiergelände an der Beckrather Straße im Stall standen. „Plötzlich heulten die Sirenen, erinnert sich Josef Kieven, der seit 1970 in Kleinenbroich lebt. „Nicht wie sonst, sondern durchdringend heulten sie. Es war beängstigend. Dieses Warnsignal hatte ich noch nie gehört, aber ich wusste sofort, dass akute Gefahr besteht.“ August, der Hofgehilfe des Bauern, hatte ihm immer wieder eingebläut, sich in einer solchen Situation sofort auf den Boden zu legen: „Ich ließ meinen Heuwagen mitten auf der Straße stehen, rannte zu der Spier-Mauer und legte mich dort auf den Boden“, erzählt Josef Kieven. „Dann kam der große ‚Teppichwurf'. Ein Volltreffer landete direkt hinter der mehr als zwei Meter hohen Mauer, die daraufhin einstürzte und mich unter sich begrub.“ Ein Soldat, der während des Angriffs in der gegenüberlie­genden Wirtschaft Sax gewesen war, sah Josef später unter der Mauer liegen und holte ihn unter den Steinen hervor. Das war sein Glück. „In der Zwischenzeit war auch meine Mutter da und wollte mit mir nach Hause; sie war wie viele andere im großen Luftschutzkeller der Firma Spier gewesen.“ Der Achtjährige blutete stark aus einer mehrere Zentimeter langen Wunde am Kopf, die heute als Narbe noch deutlich zu sehen ist. Ein weiteres Mal hat er Glück im Unglück: „Militärarzt Dr. Sax war zufällig gerade auf Heimaturlaub. Er brachte mich ins Wickrather Krankenhaus und versorgte die klaffende Wunde fachmännisch“, so Josef Kieven. „Wäre er nicht da gewesen, weiß ich nicht, ob ich überlebt hätte, denn zu der Zeit waren keine weiteren Ärzte im Haus.“ Friedhelm Götz (82) erlebte den Angriff zusammen mit seinen Eltern Nikolaus und Theresa sowie seiner ältesten Schwester Margarethe im Keller seines Elternhauses an der Sandstraße, unweit vom Ortszentrum. Er erinnert sich: „Es war leicht bewölkt an diesem Tag; wir standen draußen und hörten das Brummen der Flugzeuge. Plötzlich wurde das Brummen übertönt durch ein ganz komisches Rauschen. Vater schrie ‚das sind Bomben, ab in den Keller.' Dann erfolgte auch schon der erste Schlag. Es war unbeschreiblich laut; die Frauen schrieen. Der zweite Schlag war noch schlimmer als der erste; beim dritten wackelte unser Haus. Ich konnte mich im Keller nicht auf den Beinen halten und fiel hin. Es war furchtbar. Am Ende war es gespenstisch still. Wir krochen aus dem Keller raus. An der Stelle, wo vorher noch die Kirche gestanden hatte, war nun eine riesige schwarze Wolke. ‚De Kerk ess wäck' ( die Kirche ist fort ), sagte mein Vater. Am nächsten Morgen flohen wir mit einem Heuwagen zu Fuß nach Düsseldorf, und von dort aus mit dem Zug etappenweise nach Bayern.“ Johanna Bienert (89) wohnte in Beckrath. Am Tag nach dem Bombenangriff wurde sie von der BDM-Leitung ( Bund deutscher Mädel ) nach Wickrath beordert. Sie berichtet: „Mit mehreren Mädchen fuhren wir auf Fahrrädern nach Wickrath. Wir waren geschockt vom Anblick der Verwüstungen. Es war nichts mehr ganz. Der Kirchhof hinter der zerstörten Kirche war völlig aufgewühlt. Diesen Anblick vergesse ich nie; das war so schlimm“, sagt sie und ergänzt: „Ein Glück, dass zum Zeitpunkt des Angriffs schon viele Menschen evakuiert waren.“ In der Metzgerei Dörges musste Johanna Bienert mehrere Tage lang zusammen mit zwei weiteren BDM-Mädchen Suppe kochen, um den Helfern eine kleine Stärkung zu geben, die mit den Aufräumarbeiten begonnen hatten.

Fakten: Die in den Jahren 1200 bis 1205 erbaute St. Antonius Kirche und viele Häuser an der Kirch­straße ( Straße existiert heute nicht mehr ), Beckrather Straße und Odenkirchener Straße ( heute Hochstadenstraße ) wurden bei dem Angriff zerstört. 1954 war die Grundsteinlegung für die neue Kirche St. Antonius; ein Jahr später wurde mit der Neugestaltung der Wickrather Ortsmitte begonnen.

Johanna Bienert

Friedhelm Götz

Josef Kieven

Wickrath-Markt- 1944-2015: Oben: Diese Postkarte zeigt die Wickrather Ortsmitte vor dem Bombenangriff mit der historischen Kirche St. Antonius und der Kirchstraße (li.). [Privatsammlung Ellen Dath] Unten: Die Wickrather Ortsmitte heute.

Nachdruck aus Extra Tipp vom 1. März 2015